Über den Atlantik

Mit der DC-3 in zehn Tagen von Oklahoma City nach Lausanne.

Vorweg: Die Geschichte ist über 30 Jahre alt. Das sieht man natürlich auch in der Qualität der Bilder. Einmalig war das Erlebnis dennoch.

Wie so vieles in der Fliegerei beginnt auch diese Geschichte mit einem grossen Traum. Ein Schweizer Avionic-Spezialist, nennen wir ihn Beat, Liebhaber besonderer „Originale“ (und selbst auch eines), träumte schon lange davon, eine gut erhaltene DC-3 zu finden, um sie mit einer Gruppe Gleichgesinnter zu kaufen und in der Schweiz nostalgische Flugerlebnisse anzubieten.

Old soldiers never die.

Geträumt, gehandelt: Ein Prachtsexemplar von DC-3 mit interessanter Vergangenheit tauchte im „Trade-A-Plane“ auf. Die Partner waren schnell überzeugt, und so bekam der Klassiker neue Besitzer. Die Maschine stand allerdings noch auf der anderen Seite des grossen Teichs. Sofort wurden die vielfältigen Planungsarbeiten für den Überflug eingeleitet. Damals gab’s erst das Loran, das GPS liess sich (am militärischen Horizont) bloss erahnen. Die Bordausrüstung musste also durch zusätzliche Kommunikations- und Navigationsgeräte ergänzt werden. Eine umsichtige Routenplanung mit Varianten war für die lange Reise über Wasser ebenfalls lebenswichtig. Also wurde ein Team mit entsprechenden Erfahrungen und Fachkompetenzen zusammengestellt.

Ich hatte das Glück, bei diesem Überflug dabei zu sein. Hier mein etwas spezielles Logbuch aus zehn ereignisreichen Tagen mit der „Grand Old Lady“ N64784.

Lausanne, 20. Juli

Individuell trudeln wir bei Beat in Lausanne ein. Morgen früh um 08.40 geht die Reise erst einmal nach Dallas. Bereits dort sind Marc, ein junger französischer Captain mit drei Jahren Afrika-Erfahrung auf der DC-3 sowie Dieter, ein Deutscher, der als Copilot vorgesehen ist.

Genf-London-Dallas Ft. Worth, 21. Juli

Die herrgottsfrühe Anreise nach Cointrin wird durch das schwere Gepäck (und einen Drink zuviel am Vorabend?) nicht erleichtert. Vor allem der Koffer mit den Geräten, die dann für den Überflug einzubauen sind, ist der erklärte Liebling. Jean-Michel stösst zu uns, wir sind nun zu fünft. Die BAC-111 der British Caledonian startet planmässig nach London. Da fliegen wir dann jedoch 40 Minuten Holdings, die Zeit für den Transfer zur Maschine nach Dallas wird immer knapper. Ein B Cal-Funktionär holt uns ab und eskortiert uns rassig zur DC-10: Rein, Türe zu und ab. Dass unser in Genf nach Dallas durchgechecktes Gepäck dabei keine Chance hatte, dämmert uns erst in der Luft.

Wir erreichen Dallas mitten in einem prächtigen texanischen Gewitter. Der Captain kurvt so gut es geht um die Charly-Bravos, was uns Ausblicke in phantastische Wolkenschluchten verschafft. Akustisch untermalt wird die Geschichte durch die Schreie verängstigter Passagiere, wenn’s zur Abwechslung mal mittendurch geht, mit entsprechend abenteuerlichen Variometer-Ausschlägen.

Um 14.30 local, mit 7h Zeitunterschied zur Heimat, landen wir auf dem Dallas Love Field. Keine Spur von unserem Gepäck. Lange Gesichter und ebensolche Diskussionen im Büro von British Caledonian. Dietmar stösst nun aus Frankfurt zu uns, er ist ein Electronic Equipment-Spezialist. Die Maschine nach Oklahoma-City steht bereit. Aber ohne Geräte und Material könnten wir dort nur herumstehen. Der B-Cal Manager verspricht uns das Gepäck optimistisch auf den Flug von morgen. Bleiben wir also hier in Dallas.

Beats Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass B-Cal unsere Hotelkosten übernimmt, getreu dem Schweizer Motto: Der Fünfer, das Weggli und die Rabattmärkli. Wo doch die Schotten so sprichwörtlich geizig sein sollen…

Also geht’s ab ins Holiday Inn, wo die einen zeitig, die anderen eher unzeitig in die Federn fallen. Womit dann auch die jeweilige Anzahl zur Brust genommener Bourbons eine ziemliche Streuung aufweist.

Dallas, 22. Juli

Zum Zeitpunkt unseres Frühstücks hat Beat schon eine ausgiebige Telefon-Orgie hinter sich: Das Gepäck ist weiter im ungewissen Bereich. Wir fahren dennoch kurz zum Flughafen raus, wo wir lediglich erfahren, dass es unterwegs sei. Mit Ausnahme der „Life-Rafts“, die als gefährliche Fracht erkannt und raus genommen wurden. Seltsam, in Genf beim Durchchecken waren die noch kein Problem. Das bedeutet nun, dass ein Spediteur die Böötli sicherheitsgerecht verpacken und direkt nach Oklahoma-City spedieren muss. Denn so lange wollen wir hier in Dallas nicht untätig herumhängen. Im Idealfall würden die Dinger morgen Abend eintreffen, heisst die jüngste Trendmeldung.

Immerhin sehen wir am Nachmittag schon mal unser Gepäck wieder. Ein grimmiger „Immigration Officer“ geht nicht wie erwartet auf die überschweren Koffer mit den Geräten los. Ihm stechen vielmehr meine Kleber „Bahamas. Inspected Baggage“ (aus früheren glücklichen Ferientagen in den Out Islands) ins drogengetrübte Auge. Er will genau wissen, was mir an den Bahamas gefällt, wann ich da war, warum und wo. Dabei spielt er alle Fahndertricks aus. Besonders angetan haben es ihm mein Schlafsack im Koffer und mein Talisman-Bärli. Ich erwarte jeden Moment, dass er die Kapok-Füllung des Schlafsacks aufschneidet oder den armen Bären obduziert…

Auch dieses Intermezzo findet aber schliesslich noch ein gutes Ende. Beat, in bewährter Manier, schindet beim immer bedauernswerteren Stationmanager von British Caledonian nun auch noch Gratistickets für den American Airlines-Spätflug nach Oklahoma-City heraus…

In den verbleibenden Stunden bis zum Check-in besichtigen wir dann noch ein wenig Dallas, vom JFK-Memorial bis zum örtlichen McDonalds. Planmässig heben wir schliesslich vom Dallas Love Field ab und treffen um Mitternacht in Oklahoma-City ein. Im Hilton Inn West beziehen wir Logis. Zu „airline-rates“, denn Beat zückt seinen BAZL-Ausweis, und der Mann an der Reception lässt sich beeindrucken. Im Country-Club des Hotels wird dann noch der eine oder andere Jack Daniels zur Brust genommen (für ä tüüfa gsunde Schlaf).

Oklahoma-City, Mittwoch 23. Juli

Heute hätten wir (in optimistischer Planung) eigentlich schon zum Heimflug starten wollen. Beat hat bereits wieder eifrig herumtelefoniert, als wir uns zu „bacon and eggs“ treffen. Über den Verbleib der „Life Rafts“ weiss British Caledonian allerdings noch nichts Neues.

Draussen auf dem Will Rogers Airport, wo unsere DC-3 steht, sind die Spezialisten von B.F. Goodrich inzwischen daran, die Enteisungsgummis an den Eintrittskanten von Flügeln und Leitwerk zu montieren. Die Maschine war zwar bei ihrer Auslieferung (als C-47 des USAAC) schon einmal mit solchen ausgerüstet. Ihr langjähriger Eigentümer, Kaugummi-König P.K. Wrigley, war jedoch praktisch ausschliesslich in Kalifornien, der Karibik und Mittelamerika unterwegs. So hatte er die Gummis (im Tausch gegen ein paar Knoten speed) entfernen lassen. Die Heimatbasis der „Wasp“, wie Wrigley seine persönliche DC-3 taufte, war 32 Jahre lang Catalina Island, vor der kalifornischen Küste. Auch die Insel gehörte dannzumal zum eindrücklichen Chewing-Gum Imperium.

Und wenn wir schon daran sind, hier noch mehr aus dem wechselvollen Leben der Maschine. Als P.K. Wrigley 1978 verstarb, war er über 2’200 Stunden in seiner DC-3 geflogen. Sein Sohn schenkte die „Wasp“ dem Naval Air Museum in Pensacola, Florida. Die Zelle hatte zu diesem Zeitpunkt erst eine totale Flugzeit von 2’980 Stunden, davon deren 770 im Dienst des US Army Air Corps. Wrigley hatte zudem dem Interieur seine besondere Note gegeben: Die Maschine ist mit 18 Erstklasssitzen und einem Sofa ausgerüstet.

Das Naval Air Museum scheute sich dann allerdings nicht, die lowtime-Trouvaille nach 2 Jahren wieder zu verkaufen (was bei Mr. Wrigley jun. verständlicherweise wenig Begeisterung hervorrief). Der Käufer, Präsident einer Oklahoma-Ölgesellschaft, flog kaum 150 Stunden mit der Maschine bis zu seinem Bankrott von amerikanischem Ausmass. Nun legte der Staat Oklahoma seine Hand auf das Flugzeug und bot es zum Kauf an, um seine Steuerguthaben zu sichern. Beat sah die Maschine im Trade-A-Plane ausgeschrieben und reagierte schnell. Sie hatte inzwischen einen beige-braun-goldenen Anstrich in erstklassigem „Imron-Finish“ bekommen und war auf Scheibenbremsen umgerüstet.

Zurück nach Oklahoma, das gerade in einer Hitzewelle tropischen Ausmasses vor sich hin brütet. Die Arbeit an den „deicing boots“ dauert länger. Beat regelt derweil die finanziellen Belange und die Zulassung. Der Einbau der zusätzlichen Geräte für den Überflug und das Durchchecken der Systeme benötigen noch Zeit.

So kommen denn alle, die keinen fixen Job haben, zu einem Freitag am Mittwoch. Man beschliesst etwas „sightseeing“ zu machen. Im Taxi, dessen Klimaanlage den Geist schon länger aufgegeben hat, geht’s in die Downtown von Oklahoma-City. Bei 105° Fahrenheit landen wir allerdings bald wieder im Hotel-Pool, während Beat noch immer auf „Schatzsuche“ ist. Es zeigt sich nämlich, dass auch gedeckte Schecks einer Schweizer Grossbank im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf Argwohn stossen, wenn die Adresse der US Bank, auf welche die erwähnte Schweizer Grossbank die Checks ausgestellt hat, seit über zwei Jahren nicht mehr stimmt…

Als Beat nach Stunden völlig verschwitzt eintrifft, sind seine Kommentare zur betreffenden Schweizer Bank und deren Schlendrian jedenfalls wenig geeignet, hier wörtlich wiedergegeben zu werden. Die wohltuende Wirkung von Mr. Jack Daniels setzt aber auch hier zuverlässig ein. Noch rechtzeitig vor dem Schlafengehen.

Oklahoma-City, Donnerstag 24. Juli

Heute ist ein grosser Tag. Und ein weiterer heisser dazu. Gemäss „Good morning America“ sind für Oklahoma wieder 100-105° Fahrenheit bei 80% Luftfeuchtigkeit zu erwarten.

Einige von uns begegnen der „November 64784“ heute erstmals live. Die „deicing boots“, bei der aktuellen Wetterprognose reichlich deplatziert wirkend, wurden gestern Abend noch fertig montiert. Das Ganze hat dreimal soviel Zeit benötigt wie vorgesehen. Dave Cummings, unser Safety-Pilot und Chief Engineer aus Oklahoma, 22’000 Flugstunden bei der Air Force, hat die Maschine gestern Nacht noch vom „Will Rogers-Airport“ auf das kleinere „Wyley Post-Airfield“, etwa 10 Meilen nördlich überflogen. Das ist Dave’s „homebase“, so dass wir da alles Nötige für die weitere Arbeit schnell zur Hand haben.

Zeitlose Majestät: Die legendäre DC-3

Beat meldet sich gleich wieder ab, um neue Erfahrungen im finanziellen Bereich zu machen. Im Cockpit wird schon tüchtig gearbeitet. Die Prop-Enteisung (mit Alkohol) ist infolge langjährigen Nichtgebrauchs verstopft. Der Vorschlag, es mit „Jack Daniels“ zu versuchen, wird entrüstet abgelehnt. Auch das Benzin-Heizaggregat fürs Cockpit hat den Geist vor langer Zeit aufgegeben. Es dauert, bis beide wieder funktionieren. Bei der mörderischen Hitze, die in der Alu-Röhre herrscht, hat man Mühe sich vorzustellen, dass solche Annehmlichkeiten oben am Polarkreis durchaus willkommen sein könnten.

Es wird ein langer Tag, was auch der Berg leer getrunkener Alu-Dosen eindrücklich dokumentiert. Der Standlauf am Abend zeigt schliesslich noch, dass die Leistung des Generators am rechten Motor ungenügend ist. Dave weiss, wo er einen Austausch-Generator bekommt.

Nachtgeister haben den Generator am rechten Motor ausgetauscht

Wiley Post Airfield, Oklahoma-City, Freitag 25. Juli

Als wir am nächsten Morgen, nach längerer Irrfahrt im Hilton-Bus, schliesslich auf dem Platz eintreffen, liegt der alte Generator unter der Maschine. Dave hat über Nacht gezaubert. Im Schein einer grossen Taschenlampe, auf der Leiter balancierend, hat er das Ding ausgetauscht. Wer weiss, wie schwer so ein DC-3 Generator ist und wo am Motor er sich versteckt, kann die Leistung bestimmt würdigen.

Nun geht’s aber zügig voran. Die organisierten Ersatzteile mit Seltenheitswert treffen ein. DME, Loran und HF-Funk samt Antennen sind eingebaut. Alles wird einem abschliessenden Funktionstest unterzogen und wo nötig fein „getunt“. So haben alle noch zu tun, und sei es auch nur bei der Beschaffung von Tranksame und US-Riesensandwiches.

Job mit Aufstiegsmöglichkeiten

Pilot-talk im Schatten des Flügels

Dorothy (ganz links), die Freundin von Dave (mit Sonnenbrille),  zeigt uns in einem der Hangars noch voller Stolz die familieneigene, prächtig restaurierte T-6. Da stehen zudem Christen Eagles, Waco’s und andere Prachtsdinger herum, dass einem Amateurbauer die Augen überlaufen.

Dorothy besitzt unter anderem ein DC-6 Copilot’s „rating“. Und sie startet nach der Rückkehr von unserem Überflug den Job als Helipilotin bei der US Coast Guard.

Das Beste bringt dann der spätere Nachmittag. Eine nach der anderen werden die vielen Verschalungen wieder montiert, Handlochdeckel eingesetzt und Gerüste weggerollt. Ein vereintes „Push-back by manpower“, und die Lady steht für den Probeflug bereit. Dunkle Gewitterwolken verheissen etwas Abkühlung, als wir zum Start rollen. Der halbstündige Flug über die Oklahoma-Countryside, mit Blick auf die Wolkenkratzer der Downtown, vor der sagenhaften Kulisse mächtiger Charly-Bravos – dies alles entschädigt uns reichlich für den Schweiss des Tages.

Nach butterweicher Landung stellt Dave die Maschine abflugbereit auf dem Tarmac ab. Die Lady hat uns nicht enttäuscht: Alle Systeme arbeiten, wie sie sollen. Dem morgigen Start zur grossen Reise steht nichts mehr im Weg. Umso mehr als wir erfahren, dass auch die verschollenen „Life-Rafts“ inzwischen im Hilton eingetroffen sind. Atomsicher verpackt…

Kaum ausgestiegen, folgt ein kurzer, heftiger Wolkenbruch, den wir zur Kühlung und Grobreinigung der Gliedmassen durchaus begrüssen. Wir laden nun noch Ersatzteile, Ölfässer und weiteres in die Maschine. Alles wird vorher gewogen, denn mit randvollen Tanks sind wir allmählich nahe am Höchstgewicht.

Es ist schon dunkel, als wir uns zum letzten Mal auf den Weg ins Hilton Inn West machen. Zum Abschied ist, wie es sich so nahe bei Tennessee gehört, auch Mister Jack Daniels wieder mit von der Partie. Natürlich nicht bei der Crew, nur bei den Pax. Und selbst da in eher homöopathischer Dosierung.

Oklahoma – Toledo (Ohio )- Bangor (Maine), Samstag 26. Juli

Los geht’s! Um 09.50 local time hebt sich N64784 willig von Runway 17L in den noch wolkenlosen Himmel. Auf FL 70 trägt sie uns ruhig brummend über Tulsa, Springfield (Missouri), dann bei St. Louis über den Ol‘ Man River, vorbei an Terre Haute (Indiana), über Indianapolis und Fort Wayne nach Toledo (Ohio) am Eriesee, unserem ersten Etappenziel.

Dort landen wir um 15 Uhr local, nach etwas mehr als 6 Stunden Flugzeit. Freunde von Beat und einige Vertreter der Lokalpresse erwarten uns schon mit kühlen Drinks. Auch die Maschine bekommt Flüssiges in Form von 100 LL und Öl. Dabei zeigt sich, dass der Ölverbrauch der Motoren mit weniger als einer Gallone pro Motor und Stunde durchaus im grünen Bereich liegt.

So wird es dann ohne Langeweile 18 Uhr, bis wir wieder in den Himmel über Ohio steigen und uns auf die nächste Etappe nach Bangor (Maine) machen. In den Tagen der Propeller-Airliner war Bangor ein wichtiger Stützpunkt auf der Atlantiküberquerung zwischen Irland (Shannon) und den USA.

Das Wetter-Briefing für New England klingt nicht erbaulich, und wir werden natürlich bei Nacht am Ziel eintreffen. Der Flug entlang dem Südufer des Erie-Sees, über Buffalo und den Lake Champlain hinein nach Vermont, ist wunderschön. Dann werden die Wolken rasch dichter und die Landschaft eintöniger. Schon bald brummen wir „on top“, gemäss DME mit 150 Knoten ground speed, der einsetzenden Dämmerung entgegen. Der Anflug auf Bangor findet in stockdunkler Nacht und bei strömendem Regen statt. Dave steuert die Maschine in einem ruhigen Approach den „glidepath“ hinunter. Hie und da leuchten kurz die „icedetector-lights“ auf die Eintrittskanten. Aber die neuen „deicer-boots“ brauchen sich noch nicht zu bewähren. Um 22.45 setzen wir nach fast fünfstündigem Flug sanft wie gewohnt in Bangor auf.

Zwei klapprige Wasserstoff-Taxis bringen uns nach Brewer, wo wir in einem Motel die letzten verfügbaren Zimmer bekommen. Es wird etwas eng, je zwei teilen sich ein Bett. Es reicht noch für ein Bier über die Strasse, das Nachtessen aus dem General Store ist eher ein Picknick. Jean-Michel, französischer Zunge, inzwischen der Gegend entsprechend in „Jeans-Meikel“ umbenannt, schläft vorsorglich schon mal in den Grönland-Boots. Das weiss er allerdings erst am nächsten Morgen…

Bangor – Fort Chimo (Kuujjuaq) – Frobisher Bay (Iqaluit), Sonntag 27. Juli

Die Vorbereitung auf den kühlen Norden geht gleich nach der Tagwache weiter. Als der gute „Jeans-Meikel“ in der Dusche steht, schalten wir ihm die ungewöhnlich wirksame Dampfbad-Anlage auf volle Kraft voraus. Der Dampf kommt ihm noch beim Morgenkaffee zu den Ohren raus…

Vor dem verregneten Start in Bangor (Maine)

Es ist auch heute regnerisch, aber zumindest recht warm. Gegen Mittag sind Betanken, Flugplanung und Catering (einfach, aber simpel) beendet. Wir starten in den bedeckten Himmel Richtung Norden. Über Presque Isle, die kanadische Grenze, den St. Lorenz-Strom (hier etwa 130 km breit!) und Sept-Îles geht die Reise hinauf nach Labrador. In Kuujjaq (ein Zungenbrecher!), dem ehemaligen Fort Chimo, landen wir auf einem veritablen „gravel-strip“ zum Auftanken. Es ist 17.30, nach 6 1/2 Std. Flug.

Mit Ausnahme von Dave und Dieter, die draussen auf dem Flügel stehend auftanken, dürfen wir die Maschine hier nicht verlassen. Kein grosser Verzicht, angesichts der aggressiven Mückenschwärme, die den beiden da draussen das Leben schwer machen.

Um uns ist eine Wüste aus Fels und grauem Schotter, mit spärlichem Moosbewuchs, Tümpeln und Gletschermühlen, dazwischen verstreut ein paar Blechhütten – keiner möchte hier ernsthaft Wurzeln schlagen.

So rütteln wir uns denn nach einer guten Stunde bereits wieder von der Schotterpiste weg mit Kurs auf die Hudson-Strait. In der Luft bekommen wir über HF erstmals Verbindung mit Bern-Radio. Die Freunde in der Schweiz (wo es etwa 11 Uhr nachts ist) atmen auf, als sie hören, dass wir gut unterwegs sind. 

Erst vereinzelt (mit entsprechender Aufregung an Bord), dann immer zahlreicher tauchen nun unter uns Eisberge auf, als sichtbare Zeichen des berüchtigten Labradorstroms. In der gut geheizten Kabine werden Erinnerungen an die „Titanic“ wach. Das Wetter hat inzwischen aufgeklart, sodass wir die unwirtliche, lebensfeindliche Gegend eingehend bewundern können.

Mitten in die tiefstehende Sonne hinein landen wir um 22.15, nach knapp drei Stunden Flug, in Frobisher Bay (heute Iqaluit) im North-West Territory, Canada.

Frobisher Bay in der Mitternachtssonne

Eine richtige Ruhepause können jetzt vor allem die beiden Crews gebrauchen. Auch hier machen wir schnell Bekanntschaft mit Prachtsexemplaren von Mücken. Es ist jetzt mindestens einen Pullover kühler. Frobisher Bay liegt fast am 64. Breitengrad, zum Polarkreis ist es nicht mehr weit. Das Dorf wirkt deutlich einladender als Kuujjuaq, die Baracken um einiges wohnlicher. Sogar ein Hotel gibt es und einen 8-stöckigen Riesenbau, in dem die Verwaltung des N.W. Territory zuhause ist.

Gleich machen wir jetzt Erfahrungen mit den Monopolisten der Gegend: Die zwei Taxis kosten für die etwa 800 Meter zum Hotel 25 $. Ähnlich sehen auch die „checks“ im Hotel (Frontier Style) sowie beim Nachtessen in einem Riesen-Iglu aus. Auch ohne Barbesuch kommt keiner vor 1 Uhr früh in die Federn.

Frobisher Bay – Söndre Strömfjord – Reykjavik, Montag 28. Juli

Nach einem kurzen (dafür teuren) Frühstück machen wir uns auf den Weg zum Flugplatz, diesmal in der deutlich günstigeren „per pedes“-Variante. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm, und am Weg blühen karge Blümchen. Glücklicherweise herrscht etwas Wind, was den bereits auf der Lauer liegenden Mücken die punktgenauen Anflüge erschwert.

Unser Flugplan lautet nach Kulusak, an der Ostküste Grönlands. Um 10.45 heben wir ab. Mehr als 500 km eisgekühltes Wasser der Davis Strait liegen jetzt vor uns. Die Life-Rafts werden jedenfalls schon mal in die Nähe der Türen umplatziert.

Aber unsere Lady tuckert brav. Nach etwas mehr als 3 Stunden taucht voraus der unwirtliche Boden Grönlands auf. Tief links unter uns passieren wir den Flugplatz von Söndre Strömfjord (heute Kangerlussuaq). Voll schaudernder Ehrfurcht betrachten wir die gewaltigen Gletscherzungen und Gebirgsflüsse dieses bizarren Landes. Wir fliegen auf Level 130, denn das Terrain im Innern der Insel steigt allmählich beträchtlich an. 

Kurz darauf erfahren wir per Funk, dass sich das Wetter auf der Ostseite Grönlands markant verschlechtert: Tiefe Untergrenzen, Nebel und Niederschlag. Der Entscheid im Cockpit ist schnell getroffen: Umkehr, Rückflug nach Söndre Strömfjord, auftanken, und dann hoch über dem Dreck direkt nach Island. Nach einer 180°-Kurve und einem langen, zügigen Sinkflug drehen wir in die Bucht von Strömfjord ein und landen (hier bei schönstem Wetter) nach 4-stündigem Flug um 16.30 Grönlandzeit auf der langen Piste.

Im Sinkflug auf Söndre Strömfjord

Wir werden von SAS-Angestellten freundlich empfangen und zum Abfertigungsgebäude, weit weg auf der anderen Seite des Platzes gefahren. Einige von uns, die nicht im Cockpit arbeiten, nehmen mit den netten Dänen einen zur Brust. Dänisches Bier ist ja unbestritten etwas Gutes. Stilgerecht trinkt man es zusammen mit einem Gläschen Aquavit. Und ob der gut tut, hängt von der Verweildauer und den individuellen Erfahrungen ab.

Ich kann mich früh ausklinken, weil ich nochmals zum Flugzeug rüber muss, um „Fort Knox“ zu holen, das Attaché-Case mit den $-Bündeln. Eine freundliche Dänin bringt mich mit dem SAS-Volvo hinüber. Die Zeit vergeht, der Flugplan würde eigentlich bereits laufen. Das tut aber auch der Aquavit noch immer…

Überdies kommt dazu, dass unsere Maschine draussen auf dem Flugfeld immer noch betankt wird: Archaisch aus Fässern und per Handpumpe, weil ein fieser Tankwagen just im dümmsten Moment den Geist aufgegeben hat. Das dauert natürlich. So ist dann letztendlich nicht mehr der Aquavit an der Verspätung schuld. Denn bis das Tanken erledigt ist, hat sich auch Beat schweren Herzens (und ebensolcher Zunge) von seinen neu gewonnenen dänischen Freunden getrennt. Offensichtlich war’s Zeit für den „level-off“, denn bis Island hören wir vom guten Beat nichts mehr. Mit Ausnahme eines eindrücklichen, den Pratt & Whitneys ebenbürtigen Schnarchens aus Richtung des Bord-Sofas… 

Um 19.30 Grönlandzeit starten wir also schliesslich Richtung Reykjavik, Island. Erneut steigen wir auf Level 130 und sind abermals beeindruckt von der mächtigen Eiskappe „Grönland“, den klaffenden Riesenspalten und dem Licht der nun schon sehr tief stehenden Mitternachtssonne.

Nach ruhigem Flug über einer allmählich geschlossenen Wolkendecke landen wir nach fünfeinhalb Stunden Flug um 02.10 Islandzeit in Reykjavik. Auch hier ist es alles andere als stockdunkel, wir sind ja noch immer auf 64° nördlicher Breite. Das Loran hat unterwegs den Geist aufgegeben, wie kurze Zeit vorher schon das DME. Seltsamerweise wird es später auf einmal wieder funktionieren. Der rechte Motor verliert irgendwo etwas Öl, das man auf der Motorverschalung glänzen und im Fahrtwind zittern sieht.

Reykjavik

Im Hotel Loftleidir fragen wir nach Zimmern. Das haben offenbar schon einige vor uns getan, denn mit viel gutem Zureden hat es noch zwei davon. Sie werden den Flight Crews zugesprochen, während alle anderen im Flugzeug schlafen, wo sich das Erstklass-Interieur von Mr. Wrigley einmal mehr als segensreich erweist. Kalt ist es zudem auch hier nicht.

Reykjavik – Prestwick, Dienstag 29. Juli

Alle haben ordentlich geschlafen und ein schönes isländisches Frühstück im Bauch. Dave hat bereits den rechten Motor ausgeschalt, um den leichten Ölverlust zu lokalisieren. Er findet eine Pushrod-Dichtung, die ihrem Namen nicht mehr ganz gerecht wird. Kein Handicap für den Weiterflug. Das Lecköl wird so gut es geht abgewischt und die Cowling wieder montiert.

Wohl versehen mit Sandwiches und Tranksame starten wir um 13.15 in den Himmel über der Insel aus Feuer und Eis, der heute zu unseren Ehren mit hübschen Cumuli verziert ist. Dave koppelt nach alter Väter Sitte mit Kompass und Stoppuhr. Kurze Zeit später arbeitet das Loran dann auf einmal wieder. Es hat sich wohl doch etwas geschämt.

Auf Level 120, später 115, geht es „on top“ mit südöstlichem Kurs übers Meer. Durch grösser werdende Löcher in der Wolkendecke erspähen wir dann irgendwann die (für unsere Grönlandaugen) auffallend grünen Hebriden-Inseln. Um 19 Uhr Lokalzeit landen wir nach etwa fünfstündigem ruhigem Flug in Prestwick, Schottland.

Prestwick, Scotland. Lefthand downwind tree-zero

Gleich nach dem Abstellen der Motoren erfahren wir auch Näheres zur Arbeitszeitregelung im UK: Die Avgas 100 LL-Tankmannschaft hat wie üblich um 16 Uhr Feierabend gemacht. Wer danach noch Benzin will, muss eine happige Extra-Charge in Kauf nehmen. Das tun wir nicht, denn hier ist ohnehin eine Übernachtung eingeplant.

In einem typisch schottischen Gasthof ganz in der Nähe kommen wir zu einem frühen Feierabend. Ein einfacher Znacht, ein, zwei Bierchen und wir steigen in die Federn. Das Tief, das wir auf dem Weg hierher überflogen haben, beginnt sich gerade auszuregnen.

Prestwick – Southend – Lausanne, Mittwoch 30. Juli

Heute sollten wir nun bis nach Hause kommen. Das englische Frühstück gelingt aus Zeitgründen nicht so richtig. Draussen ist es kalt und regnerisch. Um ehrlich zu sein, es ist der kälteste Tag der Reise, obwohl wir doch schon wieder weit südlicher sind.

Wir starten um 10.30 im Regen, und gleich geht’s in tief hängende Wolken rein. Sie hüllen uns auf Level 90 mehr oder weniger auf dem ganzen Weg ein. Erst im „descent“ für Southend-on-Sea klart es wie vorausgesagt auf. Hier landen wir nach 2 Stunden Flugzeit, um nochmals aufzutanken. Bereits um 14.15 steigt die Lady wieder in den jetzt sonnigen Himmel von Südostengland, zum letzten Teilstück der langen Reise. Wir überfliegen die Themsemündung, steigen an Canterbury vorbei auf Level 90 und überfliegen den Channel. Über den Pas-de-Calais geht es vorbei an Paris (nur zu ahnen in der Ferne) über Troyes und Dijon in europäischem Tempo auf den Jura zu.

Beat meldet sich über HF beim Flugplatzchef von Lausanne, Colonel Freiburghaus, um die Verhältnisse am Platz zu erfahren. Da werden wir offenbar von einer ansehnlichen Gruppe schon mit grosser Spannung erwartet.

Gegen 18 Uhr taucht dann in der Ferne der Genfersee auf, und da ist auch schon die Blécherette, unser Ziel. Dave macht erst mal einen tiefen Probeanflug, denn die 850 Meter (damals noch) Graspiste sind nicht eben grosszügig für eine beladene DC-3.  Er kennt zudem den Platz noch nicht. Entsprechend schnell schiesst das Platzende an den Seitenscheiben vorbei. Unten herrscht Aufregung, denn seit der Zeit des 2. Weltkriegs ist hier wohl nichts ähnlich Solides mehr gelandet.

Dave steigt wieder aus dem Platz heraus und macht die Maschine während der Volte landebereit. Tief kommen wir über die Hochspannungsleitungen am Nordende, und mit einer Meisterleistung setzt unser Könner den grossen Vogel auf die holprige Wiese. Er steigt anfänglich zügig auf die Bremsen, aber es reicht gut. Entsprechend unbeeindruckt sein Kommentar: „Well, another wartime-landing…“

Eine Menge Leute erwartet uns. Zufrieden, aber auch etwas wehmütig steigen wir aus der Maschine. Das Abenteuer ist zu Ende, die Dream Air Lady ist in ihrer neuen Heimat angekommen.

Und sie steht da, als wäre nichts gewesen…